Der Nova Effekt

    Der Nova Effekt

    Wir leben in einer seltsamen Zeit. Trotz nie dagewesenem Wohlstand, Freiheit, Sicherheit und jahrzehntelangem Frieden sind viele Menschen unzufrieden und erleben Gefühle von Leere oder Überforderung. Seelische Erkrankungen in Form von Depression, Burn-out, Angst, Traumatisierung sowie unbewältigte Konflikte und Lebenskrisen scheinen rasant zuzunehmen.
    Offenbar erleben wir unsere Umwelt als immer lebensfeindlicher und unser seelisches Gleichgewicht als mehr und mehr bedroht. Immer mehr Psychologen, Psychiater und Therapeuten aller Art sollen uns helfen, die seelischen Krisen zu bewältigen.
    Dieses Unbehagen der Moderne kann jedoch nur unzureichend von Therapeuten beantwortet werden.

    Der Philosoph Charles Taylor beschreibt den Nova Effekt als den Start in die Moderne. Nova bezeichnet die explosionsartige Entstehung eines neuen Sterns der für einen Moment seine ganze Umgebung überstrahlt. Nova Effekt meint hier die im Zuge der Aufklärung vom 18. Jahrhundert ausgehende Säkularisierung, die nicht nur zu einer vollständigen Veränderung von Staat und Gesellschaft geführt hat, sondern auch zu einem tiefgreifenden Wandel von Identität und Selbsterleben.

    Aus einer christlich geprägten kollektiven Glaubens- und Sinnstruktur, in der die Frage nach der eigenen Identität von der Religion beantwortet wurde, erwuchs eine Gesellschaft der Individuen, in der jeder für seinen Glauben und Lebenssinn verantwortlich ist.
    Meine Identität wird nicht mehr durch Gott und Familie bestimmt, sondern durch mich selbst. Die Suche nach dem Wahren Selbst und dem richtigen Lebensweg hat die religiöse und familiäre Einbettung ersetzt.
    Nicht Gott erfüllt meine Existenz mit Sinn, sondern ich selbst. Nicht mehr ein von oben herabschauender allmächtiger Gott urteilt über meinen Lebensweg, sondern Menschen aus der realen und virtuellen Welt beurteilen die Darstellung meines Lebens.

    Die Suche nach Identität und Sinn wird in der Spätmoderne oft beantwortet durch;

    Lebensstile
    Esskultur, Wohnort, Mode, Einrichtung, Reiseziele, Natürlichkeit
    Individualisierung
    Authentizität und Einzigartigkeit
    intensive Erfahrungen
    Natur, Musik, Kunst, Sport, Reisen, quality time
    individuelle Sinnstrukturen
    Kinderziehung, Psychologisierung, Selbstverwirklichung, Gesundheitssorge, Lebensführung als Kultur, ethischer Konsum, Work-Life-Balance

    Die Suche endet nicht immer erfolgreich; Individualisierungsversuche scheitern, das Wahre Selbst wird nie gefunden, Lebensstile liefern nicht die erhoffte Erfüllung und  Intensität lässt sich nicht bewahren.
    Zurück bleiben Selbstzweifel, Ambivalenz und Überforderung.
    Wir sind gekränkt durch Verletzungen unseres Wertesystems und scheitern an der Gestaltung unseres Lebens. Die Grenzen der Selbstverwirklichung werden als empörende Beschneidung der persönlichen Freiheit empfunden.

    Der Psychotherapeut hat darauf keine Antwort: eine psychische Störung liegt nicht vor. Auch ein Rückgriff auf den alten Glauben kann uns nicht erlösen. Wir leiden vielmehr an einer Dissonanz zwischen der Welt und uns, einer schmerzhaften Enttäuschung über die nicht eingetretene Erfüllung. Ein kultureller Phantomschmerz ohne reale Not.
    Nach Jahrtausenden religiöser und familiärer Einbettung ist der Sprung in die gottlose Individualitätsmoderne vielleicht etwas zu schnell verlaufen.

    Das Seminar
    Das eintägige Seminar bietet einen kulturhistorischen Abriss über Identität und Selbsterleben in der westlichen Welt und endet mit einer Beschreibung der seelischen Herausforderungen in der Spätmoderne. Die Einbeziehung von Kulturgeschichte, Soziologie und Philosophie ermöglicht dabei einen anderen Blick auf die Gegenwart – jenseits psychologischer Krankheitsmodelle.
    Im 2. Teil werden Antworten und Handlungsmöglichkeiten auf die geschilderten Herausforderungen erarbeitet.